Furrer Tobias 150

Tobias Furrer, Standortleiter INFORAMA Berner Oberland

Bäuerinnen sind anzuseilen!

Die bevorstehende AP 22+ sieht eine obligatorische soziale Absicherung von mitarbeitenden Partnerinnen und Partnern vor. Und das kommt nicht von ungefähr: Aus meiner Beratungspraxis heraus kann ich bestätigen, dass finanzielle Armut wegen ungenügenden Regelungen zwischen den Ehe- oder Konkubinatspartnern existiert.

Auf klassischen Bauernbetrieben gibt es oft den finanziell starken Mann (ihm gehören die Liegenschaften, er erwirtschaftet das Einkommen, auf ihn lauten die Taggeldversicherungen, …) und die finanziell schwächere Frau. Solange nichts Spezielles passiert, gleicht sich das innerhalb der Partnerschaft meist aus. Nicht so jedoch bei unliebsamen Ereignissen wie Scheidung, Invalidität, Tod oder auch im Alter: Die finanziell schlecht abgesicherte Bäuerin steht dann plötzlich mit einer minimalen Rente alleine da, mit der sich heute kaum noch würdig leben lässt.

In meiner Freizeit bin ich Bergsteiger. In leichten Passagen stellt sich die Frage nach dem Anseilen. Anseilen bedeutet, dass wenn einer stolpert, der andere ihn oft halten kann. Es bedeutet aber auch, dass der Stolpernde den Seilpartner mit reissen kann. Zum Entscheiden gibt es eine klare Regel: Bei zwei unterschiedlich starken Bergsteigern wird angeseilt – alles andere wäre unfair dem Schwächeren gegenüber. Bei gleichstarken Bergsteigern ist das Anseilen keine Pflicht – vielleicht kommen die gleichstarken Bergsteiger ohne die zusätzliche Seilhandhabung dafür schneller und effizienter ans Ziel.

Der Vergleich mit dem Bergsteigen kann auch bezüglich der auf dem Bauernhof knapp verfügbaren Finanzen dienen. Wer auf der Bergtour auf Sicherheit achtet, braucht mehr Zeit und Kraft und erreicht möglicherweise ein weniger hohes Ziel – dieses dafür mit gutem Gefühl und mit Bestimmtheit. So ist es auch mit der sozialen Absicherung beider Partner auf dem Bauernhof: Das kostet etwas Geld, das ganz sicher im Betrieb als zusätzliches Investitionskapital gerne und gut gebraucht werden könnte. Trotzdem halte ich an der Bergsteigerregel fest, dass bei ungleichen Partnern eine gleichwertige soziale Absicherung sehr hohe Priorität haben muss – freiwillig oder mit der AP 22+ befohlen. Oder mit anderen Worten: „Bäuerinnen sind anzuseilen!“.

Tobias Furrer

Standortleiter INFORAMA Berner Oberland

 

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